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STADTBESETZUNG



POPP IST VOR KURZEM AUF DAS PROJEKT „STADTBESETZUNG“ AUFMERKSAM GEWORDEN. VOM KULTURSEKRETARIAT NRW IN GÜTERSLOH GEFÖRDERT, KONZIPIEREN JEDES JAHR AUSGEWÄHLTE KÜNSTLER*INNEN ZU EINEM OBERTHEMA SPEZIELLE WERKE, DIE SICH IN VIELFÄLTIGER AUSDRUCKSWEISE MIT DEM STADTRAUM AUSEINANDERSETZEN UND DIE BEDINGUNGEN DES ÖFFENTLICHEN RAUMS HINTERFRAGEN. ZIEL IST ES, KUNST UND MENSCH ZUSAMMENZUFÜHREN, INTERAKTIONEN UND SOMIT ERFAHRUNGSRÄUME ZU SCHAFFEN, DIE SICH MIT ZEITGENÖSSISCHER KUNST UND IHREN MÖGLICHKEITEN AUSEINANDERSETZEN.

POPP HAT DAZU MIT ANTJE NÖHREN GESPROCHEN. SIE IST SEIT 2019 GESCHÄFTSFÜHRERIN DES KULTURSEKRETARIATS NRW UND IST U.A FÜR DIE UMSETZUNG DES PROJEKTES „STADTBESETZUNG“ VERANTWORTLICH.

Wann genau ist das Projekt „Stadtbesetzung“ entstanden? Gab es einen speziellen Beweggrund?


Das Thema Kunst im öffentlichen Raum hat im Kultursekretariat NRW Gütersloh bereits seit vielen Jahren einen wichtigen Stellenwert. Dem Projekt Stadtbesetzung, das in dieser Form 2016 mit Unterstützung durch die jahrzehntelange Expertise des Künstlerdorfes Schöppingen entwickelt wurde, gingen vergleichbare Urban Art-Projekte voraus. Dahinter stand der Gedanke Bildende Kunst auch außerhalb des klassischen Ausstellungsrahmens fördern zu wollen, möglichst viele unserer Mitgliedsstädte mit einem wegweisenden Kunstprojekt zu erreichen, um den Stadtraum künstlerisch neu zu befragen.


Die Idee, die hinter dem Projekt steht, lautet, dass „Kunst auf offene Straßen, unmittelbar hin zu den Menschen“ gebracht werden soll. Gibt es folglich Ihrer Meinung nach ein Defizit im Hinblick darauf, wie sozial Kunst und ihre Rezeption sein kann?


Kunst und ihre Rezeption haben nicht vorrangig den Auftrag sozial, im Sinne von sozialverträglich zu sein. Dieser Gedanke geht in unserer stark auf schnell und leicht verdaulichen Konsum ausgerichteten Gesellschaft zunehmend verloren. Und so wird an Kunst die Erwartung herangetragen, sie müsse in erster Linie erfreuen, unterhalten, von handwerklicher Könnerschaft zeugen, dekorativ und eingängig sein und vor allem schön. Die freie Kunst ist nicht selten das Gegenteil davon. Sie ist Irritationselement und als solches provokant und vielleicht sogar asozial in dem Sinne, dass sie nicht nach gesellschaftlichem Konsens strebt oder sich dem Geist der Mehrheit fügt. In dieser Rolle nimmt sie eine äußerst wichtige Position in unserer Gesellschaft ein, denn sie fördert eine dialektische Auseinandersetzung ohne sich auf vorschnelle Antworten festzulegen. Sie kann vielmehr Fragen in den Raum stellen, Betrachtende zu Partizipierenden machen und damit durchaus auch anecken.

"HIER KANN EINE ANDERE FORM DER SPONTANEN KONFRONTATION ENTSTEHEN MIT EINEM PUBLIKUM, DAS SICH NICHT VORAB ALS PUBLIKUM DEFINIERT HAT."

Worin besteht Ihrer Meinung der Unterschied zwischen der Erfahrung von Kunst in einem Museum/Galerie und im Stadtraum? Und inwieweit hat der Ort, an dem Kunst rezipiert wird, Einfluss auf die Wirklichkeit, die dadurch konstituiert wird?


Museen, Kunstvereine und auch Galerien sind im Laufe der Zeit immer innovativer geworden, was Vermittlungsangebote, kunstpädagogische Begleitprogramme und z.B. schulische Kooperationsprojekte betrifft. Damit bauen sie eine Verbindung zu heutigen und auch künftigen Besucher*innen aus. Trotz dieser zunehmenden Öffnung und Dialogbereitschaft beobachten wir an vielen Stellen, dass beispielsweise Museen in der Stadtbevölkerung noch immer als erhabene (in der allgemeinen Wahrnehmung vielleicht gar abgehobene) Orte für eine geschlossene Gesellschaft von wenigen Experten missverstanden werden. Auf einen Besuch im Museum bereitet man sich entsprechend vor in der Annahme, dass ohne eine Erläuterung oder entsprechendes Hintergrundwissen sonst viele Zugänge verschlossen bleiben. Man befasst sich mit dem Ausstellungsgegenstand oder dem Begleitprogramm, man versucht sich im Vorfeld ein Bild dessen zu machen, was einen erwartet. Gerne betont man die eigene Expertise in Führungen und auf Vernissagen oder man hält sich unter Anwendung eines dem Anlass angemessenen Kodex eher zurück.

Der öffentliche Raum, der sich vielerorts in einer Phase des grundlegenden Wandels befindet, bietet die Chance einer überraschenden Auseinandersetzung mit Kunstformen, die oft direkten Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten und die Stadtgesellschaft in ihren Alltagsbezügen nimmt. Hier kann eine andere Form der spontanen Konfrontation entstehen mit einem Publikum, das sich nicht vorab als Publikum definiert hat. Temporäre Kunstprojekte im öffentlichen Raum haben bei aller Unverbindlichkeit und Fluktuation das Potenzial für einen aufrichtigen demokratischen Diskurs, der nicht nach Lehrbuch erfolgt, sondern im Moment der Unmittelbarkeit. Damit erreicht man natürlich auch nicht Jede/n, aber man trifft unter anderem auf Zielgruppen, die (noch) keine Museumsbesucher*innen sind.

Im Rahmen des Projekts Stadtbesetzung wird ermöglicht, im öffentlichen Raum unserer Mitgliedsstädte solche künstlerischen Experimentierräume aufzumachen, die zu einer anderen Form der Auseinandersetzung mit Kunst, aber auch mit dem jeweiligen Ort gelangen. Diese Kunst geht von der Stadtgesellschaft aus, es entsteht im besten Fall eine wechselseitige Resonanz unter Einbezug derer, die neugierig sind, sich darauf einzulassen. Diesen Prozess gibt es in Museen durchaus auch. Allerdings ist die Phase der Annäherung des Publikums an eine museale Ausstellung oftmals anders. Und einen Unterschied macht es, wer ein Museum als „seinen Raum“ empfindet.


Können Sie uns etwas über das jährliche Bewerbungs- und Auswahlverfahren der Künstler*innen erzählen? (z.B: ist uns bisher unklar, ob die jeweiligen Künstler*innen sich mit einem speziell für die „Stadtbesetzung“ konzipierten Projekt bewerben, das dann realisiert wird oder anders.)


Das Kultursekretariat NRW Gütersloh ruft jedes Jahr seine Mitgliedsstädte dazu auf, sich mit einem Konzept für die Teilnahme an der Stadtbesetzung zu bewerben. Dabei steht die Stadtbesetzung in jedem Jahr unter einem möglichst weit gefassten Oberthema (so zum Beispiel in diesem Jahr „Was geht? Kunst in Bewegung), das Anregung und gleichzeitig einen Rahmen bietet.

Gibt es vor Ort noch keine Idee, welche Künstlerin/welchen Künstler man mit welchem konkreten Konzept man einladen möchte, steht das Künstlerdorf Schöppingen mit seinem umfangreichen Künstlerpool beratend zur Seite oder aber die Städte tauschen Erfahrungen und Empfehlungen innerhalb unseres Netzwerkes aus. Von den eingegangenen Bewerbungen trifft eine Jury eine Auswahl. Unser Ziel ist es, über die lokalen Netzwerke hinaus nationale und auch internationale künstlerische Positionen in unsere Mitgliedsstädte zu vermitteln, da wir überzeugt sind, dass dadurch neue Perspektiven und Impulse entstehen, die zur Entwicklung der Kultur in den Kommunen beitragen.

"UNS IST GLEICHSAM WICHTIG, DASS DIE KÜNSTLER*INNEN MÖGLICHST FREI AGIEREN KÖNNEN UND DIE TEILNAHME AN DER STADTBESETZUNG NICHT ALS ENG ABGESTECKTER AUFTRAG BETRACHTET WIRD."

Gibt es für Sie Unterschiede zwischen Kunst und Kultur, die evtl. innerhalb des Projekts „Stadtbesetzung“ zum Tragen kommen? Bzw. inwiefern gehören die Begriffe Kunst und Kultur zusammen, was unterscheidet sie? Wäre Kunst, die im öffentlichen Raum stattfindet und dadurch offensichtlicher eine soziale Handlung formuliert, eher als Kultur, denn Kunst zu bezeichnen?


Die künstlerisch-ästhetische Position selbst, die ja oftmals die Initialzündung für die Auseinandersetzung mit ihr bildet, definiere ich als Kunst. Sie ist im öffentlichen Raum oftmals prozessual, installativ, performativ und flüchtiger als z.B. das Werk eines Alten Meisters im Galerieraum. Die Auseinandersetzung, die durch das Werk initiiert wird, ist wiederum ein kultureller Prozess, an dem die Stadtgesellschaft mitwirkt. Nicht selten wird das Werk oder Zusammenhänge zum Raum dadurch neu befragt und verändert. Dieser Ansatz, gestaltend auf gesellschaftliche Zusammenhänge einzuwirken, begegnet uns ja auch bei der Sozialen Plastik von Beuys. Kunst und Kultur verschränken sich hier stark.


Welche Aufgabe hat die Kunst, die Sie fördern?


Im Projekt Stadtbesetzung befassen sich Künstler*innen intensiv mit dem Ort, an dem sie wirken. Dies kann eine Auseinandersetzung mit inhaltlichen, historischen, stadtplanerischen, gesellschaftlichen oder anderweitigen Aspekten des öffentlichen Raums sein. Der Dialog mit den Kulturbeauftragten in der Kommune ist hierfür besonders wichtig. Uns ist gleichsam wichtig, dass die Künstler*innen möglichst frei agieren können und die Teilnahme an der Stadtbesetzung nicht als eng abgesteckter Auftrag betrachtet wird. Auf diese Weise entwickeln sich spannende Prozesse, die zu Beginn der Projektphase so vielleicht noch gar nicht in Gänze absehbar sind.


Kann/Muss Kunst politisch sein?


Kunst ist meines Erachtens immer politisch, denn mit dem Zeitpunkt der Ausstellung, Aufführung, Präsentation o.a. regt sie zu Meinungsbildung und zum Austausch über verschiedene, auch gegensätzliche Standpunkte über inhaltliche, ästhetische oder anderweitige Positionen ein. Nicht jeder Künstler/jede Künstlerin verfolgt von vornherein die Absicht, eine konkrete z.B. tagespolitische Aussage in seinem/ihrem Werk zu transportieren. Das wäre auch zu kurzgefasst. Dennoch kann sie auch unintendiert Auslöser eines gesellschaftlichen Diskurses sein, denn sie ist immer Teil und Ausdruck gesellschaftspolitischer Zusammenhänge.


Finden Sie, dass Kultur in allen Städten NRWs gut erreichbar ist? Worin liegen die Schwachstellen/Was funktioniert besonders gut/schlecht?


Die Zugänge zu Kunst und Kultur sind in größeren Städten allein durch die hohe Dichte des Angebots möglicherweise besser ausgeprägt. Auch ist es in der Großstadt weniger problematisch, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nur zum Veranstaltungsort zu gelangen, sondern auch nach der Veranstaltung wieder zurückzukommen. Kleineren Kommunen im ländlich geprägten Raum fehlt oft eine solche geeignete Infrastruktur, die flächendeckende Teilhabe ermöglicht. Man ist stärker auf bürgerschaftliches Engagement und kreative Einzellösungen angewiesen, um das Publikum zu mobilisieren. Auch aus diesem Grunde ist es wichtig, nicht darauf zu warten, dass das Publikum in die Kultureinrichtungen kommt, sondern die Kultur auch „zu den Menschen“ zu bringen.


Inwieweit hat die Corona-Situation Einfluss auf das Projekt „Stadtbesetzung“ genommen und wie bewerten Sie die Zukunft der performativen Kunst, die ja eine raum- und zeitgebundene Betrachterteilnahme bedingt?


In der Gesamtheit unserer geförderten Projekte war das Projekt Stadtbesetzung interessanterweise am wenigsten von den Auswirkungen der Krise betroffen. Das liegt vermutlich darin begründet, dass innerhalb des relativ offenen Projektrahmens und im öffentlichen Raum spontanes Umdisponieren leichter fällt als bei Inhouse-Veranstaltungen mit fest installierten Publikumsrängen und Einnahmezielen. Der flexible Rahmen der Stadtbesetzung erlaubt es jeder Stadt, die Projekte nach ihren Bedarfen gemeinsam mit den beteiligten Künstler*innen zu entwickeln und anzupassen. Wir betrachten das Projekt auch vor diesem Hintergrund weiterhin als zukunftsweisend und streben an, es weiter auszubauen.
Fotos:

  1. Performance, Bodies in Urban Spaces, Cie., Willi Dorner, Bergkamen, 2017, Foto Marc-Oliver Knappmann
  2. Stadtbesetzung, shouldered street light, Jan Philip Scheibe, Detmold, 2020, Foto Malte Oing
  3. Stadtbesetzung, Dufttunnel, Gütersloh, 2020, Foto Matheus Fernandes

www.kultursekretariat.de
www.stadtbesetzung.de