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DIE BLUTORGEL – DER WIENER AKTIONISMUS UND JETZT(?)!



VIELLEICHT IST ES IN DER AKTUELLEN SITUATION HILFREICH, EINEN BLICK IN DIE KUNSTGESCHICHTE ZU WERFEN, UM ZU SCHAUEN, WIE DIE KUNST AUF KRISEN BEREITS IN DER VERGANGENHEIT REAGIERT HAT. AUF DER SUCHE NACH INSPIRATIONEN, ERKENNTNISSEN, WARNUNGEN ODER EINFACH NUR ERINNERUNGEN, DIE NICHT GANZ VERGESSEN MEINEN, IST DER WIENER AKTIONISMUS GANZ BESONDERS INTERESSANT. DA SICH DER WIENER AKTIONISMUS IM VERGLEICH ZU DEN WEITEREN INTERNATIONALEN STRÖMUNGEN NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG, DURCH EINE EXTREM RADIKAL KÖRPERLICHE ORIENTIERUNG KENNZEICHNET, IST ER VIELLEICHT AKTUELLER DENN JE, WEIL EBEN DIESE JENE GROSSE (CORONA-)KRISE MIT ALL DEN DAZUGEHÖRIGEN ÄNGSTEN, NÖTEN, UNSICHERHEITEN, DISTANZEN, REGELN UND GESETZEN, EIN NEUES BEWUSSTSEIN, EINE NEUE BEWUSSTWERDUNG ÜBER DAS EIGENE SEIN IM GANZEN VERLANGT. VOR LAUTER SOCIAL-DISTANCING MÜSSEN WIR WIEDER ZU UNSEREN KÖRPERN ZURÜCK FINDEN, DENN IN DER REGEL WERDEN DIESE IN EINEM GEGENÜBER SPÜRBAR, DAS AKTUELL JEDOCH NUR AUS DER FERNE ODER MEDIAL VERMITTELT ERSCHEINT.

Für die Künstler des Wiener Aktionismus waren in den späten 1950er Jahren u.a. gesellschaftliche und politische Konventionen ausschlaggebend, die sie als restriktiv empfanden und die sie anhand ihrer Kunst zu überwinden suchten. Eine logische Konsequenz, die sich als Reaktion auf die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges verstehen lässt, aber auch im Hinblick auf Österreichs spezielle Position gelesen werden muss: Da wäre zum einen der Anschluss Österreichs an das ehemalige Deutsche Reich und die damit verbundene Opferpolitik, die dann mit dem Ende des Krieges betrieben wurde. Mit der Argumentation, das erste Opfer von Adolf Hitler gewesen zu sein, legitimierte man eine sehr oberflächliche Entnazifizierung und kernte ganz grundsätzlich die Geschichte des Landes lieber unter den Tisch, als sie in der Gegenwart zu bearbeiten. Um die zweite Republik wieder zu erstarken, sollte an traditionelle Werte u.a. der Habsburger Monarchie angeknüpft werden, Konventionen wurden gepflegt, ein Umdenken blieb aus.

Dies soll nur als grobe Zusammenfassung dienen, um zu verstehen, dass sich die Folgen des Verdrängungsprozesses natürlich auch im Kunst- und Kulturbereich widerspiegelten und irgendwann zwangsläufig zu Protest führen mussten. Doch der Wiener Aktionismus ist deshalb nicht nur politisch motiviert zu verstehen, sondern die Ziele der Künstler lagen vor allem darin, neue Formen der Kunst zu finden, die direkt über den Körper vermittelt werden und durch das Überwinden anerzogener Tabugrenzen zu einer neuen Selbsterfahrung führen sollen.

Als erstes größeres gemeinsames Projekt, das eine Gruppe junger Künstler zwar bewusst nicht nicht als Aktion bezeichnete, aber von dem sich sagen lässt, dass es die Geburtsstunde des Wiener Aktionismus markiert, war die sogenannte „Blutorgel“ im Jahr 1962. Sie wurde von Otto Mühl, Adolf Frohner und Hermann Nitsch durchgeführt, die allesamt zu den Initiatoren des Wiener Aktionismus zählen. Die „Blutorgel“ fand vom 1.-4. Juni 1962 parallel zu den Wiener Festwochen als Gegenveranstaltung im Perinetkeller im 1. Wiener Bezirk statt. Vorab wurde gemeinsam mit dem Psychoanalytiker und Galerist Josef Dvorak ein Manifest veröffentlicht, das die „Befreiung aller Brunst“ erklärte.

"HERMANN NITSCH - BIS HEUTE DER EINZIGE NOCH AKTIONISTISCH TÄTIGE KÜNSTLER DER WIENER AKTIVISTEN - ARBEITETE WÄHREND DER „BLUTORGEL“ ZUM ERSTEN MAL MIT EINEM REALEN KÖRPER, NÄMLICH EINEM LAMMKADAVER."

Innerhalb von drei Tagen schufen die Künstler verschiedene Kunstwerke und blieben dabei von der Außenwelt abgeschottet, da der Keller bis auf ein kleines Fenster zugemauert wurde. Die ZuschauerInnen - natürlich angeheizt durch den verheißungsvollen Titel des Manifests - wurden dadurch bewußt zu VoyeurInnen degradiert, durften sich allerdings am letzten Tag bei der Ausmauerung und Freilegung der Künstler mitsamt ihrer Werke beteiligen.

Hermann Nitsch - bis heute der einzige noch aktionistisch tätige Künstler der Wiener Aktivisten - arbeitete während der „Blutorgel“ zum ersten Mal mit einem realen Körper, nämlich einem Lammkadaver. Die Verwendung von Tierkadavern, ihrem Blut, sowie die Beteiligung sogenannter passiver und aktiver AkteurInnen, wird von da an zum wesentlichen Bestandteil der Realisation seines gesamten Werkes, das er „Orgien Mysterien Theater“ nennt.

Das von ihm im Perinetkeller angefertigte „Blutorgelbild“ (siehe Abbildung) hat eine faszinierende Größe von 9x2 m. und stellt heute eines seiner Schlüsselwerke dar. Nitschs gesamtes Werk zu erläutern, sprengt zwar in diesem Kontext den Rahmen, jedoch muss erwähnt werden, dass es dem Künstler nicht einfach um Provokation und Rebellion geht - wie man vielleicht schnell denken könnte - sondern vielmehr verfolgt Nitsch die Absicht, durch seine Kunst sinnliche Erfahrungen herzustellen, die dazu führen sollen, die Gegensätze des Lebens, das Leben und Sein an sich über den Körper intensiver zu registrieren und wahrzunehmen.

Es lohnt sich, sich mit einer Kunst auseinanderzusetzen, die auf den ersten Blick ganz ungemütlich wirkt und sowieso plädieren wir für viel mehr Unbequemlichkeit (nicht nur, aber meistens) in der Kunst, denn erst durch ganz viele „Nein`s“ entstehen fundamentale Fragen, die einen Prozess in Gang setzen, der vielleicht ein Ziel hat, aber zumindest Energie erzeugt. Und gerade dann, wenn die Komfortzone verlassen wird, weitet sich der Blick und man kann vielleicht die Mechanismen der Inszenierung unserer so-called Realität erkennen, die wir ganz sicher mitbestimmen müssen.

Und zu guter letzt, ist Nitsch und auch der Wiener Aktionismus mit seinen vergangenen Aktionen lohnenswert, weil der Fokus auf dem Körperlichen liegt, Der Körper wird oft vergessen und spielt doch gerade jetzt während der Corona Krise eine übergeordnete Rolle: Covid-19 ist eine körperliche Krankheit, doch um uns vor dieser zu schützen, müssen wir größtmögliche körperliche Distanz einhalten. Was macht diese Ambivalenz mit unserem Körperbewusstsein? Wie nehmen wir unseren Körper wahr? Wer bin ich im Ganzen und was ist das? Was passiert dadurch mit der Kunst, deren Rezeption eine körperlich ist? Mit diesen Fragen schließen wir und freuen uns über Gedanken!
Wer mehr über Hermann Nitsch und den Wiener Aktionismus erfahren möchte, bitte hier entlang:

www.nitsch-foundation.com
www.nitsch.org
www.sammlungfriedrichshof.at
www.museum-joanneum.at/neue-galerie-graz/bruseum
©Hermann Nitsch
Blutorgelbild, 1962
Acryl, Blut, Schlämmkreide auf Jute
190 x 900 cm